TV-Moderatorin und Kommunikationstrainerin Miriam Deforth ist seit Anfang 2018 Naturpark Kyffhäuser Botschafterin. In ihrem „Miris Kyffhäuser-Blog“ berichtet sie jeden Monat von ihren Erlebnissen und Abenteuern im Naturpark.
27. November 2019
Bei grauem Wetter und bei ersten Kälteeinbrüchen gibt es für einige, viele Exemplare der menschlichen Spezies einen großen Luxus: Eine wirklich gute Tasse Tee.
Ich habe mich für das Thema Tee entschieden, weil im Naturpark Kyffhäuser selbstverständlich an allen Ecken der Wanderwege Kräuter lauern, die einem Tee gewachsen wären – nur, wer bitte kennt sich denn noch mit dem Trocknen und Kombinieren von allerlei Unkraut für eine am Ende noch wohlschmeckende oder hustenlösende Mischung aus? Und darf ein kundiger Kräuterich überhaupt Kräuterlinge pflücken, wenn sie irgendwo wachsen?
Fragen über Fragen.
Da ich giftigste Pflanzen nicht von einem Pfefferminz unterscheiden könnte, pflücke ich sowieso nie etwas ab. Meinen Freunden und Bekannten geht es ebenso. EINE, ja, EINE Person, die ich persönlich kenne und sehr liebhabe, eine gute Freundin nämlich, weiß noch um die Geheimnisse der Kräuter, Blätter, Wurzeln und Früchte, die es in Deutschland bei einem Waldspaziergang einzusammeln gäbe. Und zwar, damit daraus zu Hause dann ein sinnvolles Heißgetränk gebraut werden kann. Iris Weitzel heißt sie und sie lebt und „heilt“ im Rheinland. Um genau zu sein, wurde sie mir vor vielen Jahren als „die Hexe von Mönchengladbach“ vorgestellt. Das ist albern. Und wie ich später merkte: In Iris‘ Fall ist was Wahres dran. Im besten Sinn.
Mit Iris durch eine Region wie den Naturpark Kyffhäuser zu laufen, bedeutet: Nicht laufen. Sondern alle fünf Meter wie angewurzelt stehen bleiben. Und zwar so, als gäbe es einen Feueralarm.
„OH!“ sagt Iris dann begeistert. Und: „Das gibt’s doch nicht!“ Und dann bückt sie sich vor Deiner Nase in die Knie und hält irgendein völlig unscheinbares Blättchen von irgendeinem kleinen, novembertrockenen Strauch vorsichtig ins Blickfeld. „Ein Gundermann!“ freut sie sich dann wie ein Kind und mein Gehirn macht so etwas wie: „What?!“
Und dann fängt Iris an, sehr spannende Geschichten zu erzählen. Die Natur hält Heilung für uns Menschen bereit. Und gerade die ganz unscheinbaren Blätter oder Wurzeln bestimmter Pflanzen sind es, die auf sanfte und doch sehr wirkungsvolle Weise den menschlichen Körper sehr intensiv unterstützen können.
Denn klar ist: Die Macht, die in den Pflanzlingen steckt, ist groß, junger Jedi.
Einige der heimischen Kräuter sind so giftig, dass wir sie mit der Kneifzange nicht anfassen möchten. Andersherum gilt das natürlich auch. Manch ein Blättlein oder Blütlein haben unsere Urgroßmütter in getrockneter Form zu Hause gehabt, weil es im Dorf keinen Arzt gegeben hätte, der für die Erstversorgung schnell vor Ort gewesen wäre. Heilkundige in der Familie waren überlebenswichtig. Sie konnten Beschwerden lindern oder sogar heilen und zumindest dafür sorgen, dass der damals noch nicht motorisierte Patient die Zeit bis zum Arztkontakt überstand.
Klar, einen entzündeten Blinddarm konnten die Uromas und Uropas nicht operieren - sie konnten erste Hilfe leisten. Wie sehr uns Apotheken an jeder Ecke und ortsansässige Ärzte von dem alten Wissen wegtrieben, ist beinahe jedem klar. Und angemerkt sei: Gut, dass es sie gibt.
Manchmal wünsche ich mir etwas wehmütig, trotz all der großartigen, medizinischen Fortschritte, den Kräuterkundigen in die Familien zurück.
Neulich habe ich gehört, dass jede Familie in jeder Generation so eine Art Heilkundigen hat. Auch heute noch. Das ist dieser eine Onkel, diese eine Tante, eine Oma, eine Schwägerin, die weiß, wie Pilze-Sammeln und Kräutertrocknen geht. Und die immer eine gute Idee hat, wenn Vati die Nase läuft und der Bauch weh tut – nach dem gierigen Genuss der Martinsgans. Frische Ringelblume und Minze zum Tee bereitet, sind dann für Papa eine sehr gute Mischung.
Iris ist eine dieser Heilkundigen. Leider gehört sie nicht zu unserer Familie. Und dem Himmel oder wasauchnimmer sei Dank, mag sie mich und spricht ab und an mit mir über ihr großes Wissen.
Im vergangenen Sommer waren wir gemeinsam in Wald und Wiese unterwegs. Der Spaziergang war ein einziges Stop and Go. Hier ein Huflattich, dort eine Schafgarbe, hier ein Johanniskraut. Und jedesmal großes Gejubel von Iris. Nach den ersten 500 Metern hatte ich mich damit abgefunden, dass der Spaziergang lange dauern und nicht sehr weit führen würde. Am wilden Thymian blieben wir zwanzig Minuten bewundernd stehen und Iris schwärmte von all seinen Kräften: Thymus bedeutet so viel wie Tapferkeit, Mut, Stärke. Wer dieses Kraut „nur“ zum Würzen mediterraner Gerichte verwendet, verpasst viel Segensreiches.
Das ätherische Öl, das in den wirklich unscheinbaren kleinen Blättchen gehortet wird, hemmt das Wachstum von Viren und Bakterien. „Die nächste Grippe kommt bestimmt, doch nicht zu dem, der Thymian nimmt“, lautet ein altes Sprichwort.
„Thymian ist eines der wichtigsten bekannten antiseptisch-antiviralen Heilmittel unserer Zeit. Das sogenannte Thymol {…} gehört zu den wichtigsten Mitteln gegen Husten, Erkältungskrankheiten und Bronchitis. Zum Gurgeln verwendet, lindert er Halsschmerzen, die durch Entzündungen des Rachenraumes ausgelöst wurden. Der krampfstillende Effekt macht den Thymian zu einem der bevorzugten Mittel gegen den Keuchhusten.“ (Bergila Kräuterkunde)
Ha! So ähnlich dürfen wir auch Kamille, Pfefferminze, Holunderblüte, Ackerschachtelhalm oder das Gänseblümchen feiern. Letzteres hat einen verrückt hohen Gehalt an Vitaminen, Kalium und Magnesium, kann bei Schnupfen oder Halserkrankungen schnelle Linderung verschaffen und ist dazu entgiftend und harntreibend. Außerdem ist es im Gegensatz zu anderen Pflanzen recht leicht zu identifizieren und wächst in fast jedem deutschen Garten. Iris hat uns diesen Sommer mal einen Teller Gänseblümchen zum „knabbern“ auf den Tisch gestellt. Eben selbst im Gärtchen gepflückt, nicht mal getrocknet. Bio, öko, ungespritzt, ohne Hundepupu drauf (darauf sollten Sammler in freier Wildbahn nämlich achten) und legal geerntet.
Der Naturpark Kyffhäuser ist nämlich in weiten Teilen ein Naturschutzgebiet und das Ernten von wilden Kräutern ist nicht erlaubt. Nicht mal Löwenzahn darf in Deutschland gepflückt werden, wenn die Wiesen, auf denen er wächst, naturgeschützt sind.
Im eigenen Garten oder fernab von geschützten Landschaften, dort, wo „Unkräuter“ viel Wohnraum finden, dort ist das Pflücken, mitnehmen und Trocknen kein Thema. „Geerntet werden“ darf hier ganzjährig. Vielerorts werden auch sogenannte Kräuterwanderungen angeboten, damit das alte Wissen wieder in die Familien gelangt und für „NULL“ Budget eine kleine Kräuter-Hausapotheke entstehen kann.
Um noch einmal auf den „Gundermann“ zurückzukommen, den ich zu Beginn dieses Artikels erwähnte: Die leicht herzförmigen Blättlein dieses „Unkrauts“ oder „Schädlings“ leisten hervorragende Arbeit gegen chronische Erkältungen, grippale Infekte, Schmerzen und Schnupfen. Um ihn zu identifizieren, dürfen Kräuterhexen und -hexer sich allerdings schon etwas besser mit Pflanzenkunde auskennen.
Und aus den getrockneten Kräutern gibt’s dann leckeren, wärmenden und teilweise eben auch heilenden Tee. Und der ist im November nicht nur ein Segen für den Körper, sondern auch für die Seele. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine reiche Kräuter-Kammer, viel Gesundheit in den Wintermonaten und tolle, nebelige Spaziergänge durch den novembermystischen Kyffhäuser. Oder durch den Wald bei Ihnen zu Hause „umme Ecke“, wie wir Rheinländer sagen.
Ihre Miriam Deforth